edik's Blog

Mein neuer Desktop

So um Weihnachten herum gab mein PC langsam den Geist auf. Ich konnte die Sterbeursache nur vage in den Bereich zwischen Mainboard und Netzteil einordnen, weshalb sich die Reparatur über längere Zeit hätte hinziehen können. Von der Kiste hatte ich aber eh die Schnauze voll. Und so entschied ich mich dafür, mir ein neues System anzuschaffen. Dass ich mir zu der Zeit auch mein erstes Smartphone kaufen wollte, hat sich als interessante Gelegenheit herausgestellt.

Denn ich habe mich schon lange davor von dem Gedanken begeistern lassen, das eigene Desktop-System nicht mehr auf dem heimischen Computer sondern auf dem Smartphone laufen zu lassen. Ich nahm mir also vor, mit einem Android-Handy in die Smartphone-Welt einzusteigen und damit auch meinen alten Rechner zu ersetzen. Bei meinen Internetrecherchen und in meinem Umfeld bin ich mit der Idee vor allem Skepsis gestoßen. Habe erfahren, die Leistung der Handys reiche für ein solches Vorhaben nicht aus, die Geräte würden sich überhitzen und das ganze wäre auch einfach nicht machbar. Dass das erste Smartphone, das dieses Konzept umgesetzt hat, das Atrix 4g, kommerziell erfolglos war, hat man mir auch an den Kopf geworfen.

Bildschirm, Maus, Tastatur und ein Handy, alles miteinander verbunden
Atrix 4G an der Dockingstation

Doch genau dieses Gerät hab ich mir dann geschnappt! Und tatsächlich hat es nicht lange gedauert, bis ich meinen alten Rechner auf den Dachboden gekickt habe. Yes, ich habe meinen hässlichen Blechkastencomputer durch ein kippenschachtelgroßes Gerät ersetzt, auf dem ein vollständiges Ubuntu installiert ist, welches parallel neben Android läuft. Beide Systeme nutzen den selben Kernel und Ubuntus Boot-Vorgang dauert praktischerweise nur wenige Sekunden. Dank Micro-HDMI ist das Ding an meinem Fernseher angeschlossen. Dank Micro-USB-OTG-Ausgang kann ich jegliche USB-Peripherie inklusive USB-Hubs anschließen. Und dank Adapter habe ich meine interne Festplatte zu einer Externen gemacht und kann mit dem Smartphone ganz normal auf sie zugreifen. Internet erhalte ich vom WLAN-Router und damit hat mein System auch schon praktisch alles, was ein Desktop eben braucht. Zur Zeit arbeite ich als studentischer Programmierer und es ist schon lässig, wenn ich meinen anfangs noch skeptischen Freunden erzähle, dass ich einen Großteil der Programmierarbeit zu Hause auf meinem Smartphone-Ubuntu erledige. Weil ich ohne Rechner auch keine Lüfter am Start habe, ist es in meinem Zimmer jetzt so leise, dass ich herausgefunden habe, dass mein Fernseher ein leises Rauschen von sich gibt, wenn ich ihn nicht auf Stumm schalte. Dazu spart so ein Handy-Desktop auch ordentlich Platz, den man zum Beispiel für einen freshen Papierkorb nutzen kann.

Sich den Desktop erhacken

Ein Screenshot, auf dem ein Browser und ein Fenster mit einer Android-Oberfläche zu sehen sind
Das unmodifizierte Standard-Webtop

Das reicht jetzt aber mit der Angeberei. Vorerst. Denn der Weg zum Desktop war nicht einfach, und perfekt ist das System noch lange nicht. Das fängt bei der bescheidenen Motorola-Software an und hört bei ihr auch wieder auf. Das, was man sieht, wenn man ein frisches Atrix in den Desktop-Modus schaltet, kann man nicht einmal als abgespeckte Ubuntu-Version bezeichnen. Das Webtop, wie es von Motorola genannt wird, ist in meinen Augen gar kein Desktop-System. Es beschränkt sich auf einen Browser und einem Fenster für die Bedienung von Android. Weder Paketverwaltung noch Terminal sind verfügbar. Das Webtop sollte Knast heißen.

Weil andere aus dem Knast bereits ausgebrochen sind, konnte ich schnell nachrücken und Terminal und Paketsystem einrichten. Von da an war ich frei wie ein Vogel und konnte mein System nach meinen Wünschen einrichten. Leider spüre ich trotzdem noch immer den eisernen Atem Motorolas. Diese Halunken haben für das Webtop ein Ubuntu 9.04 genommen und dann ohne Rücksicht auf Verluste softwaremäßig darauf rumgehämmert. Für deren winzige Zielgruppe, die mit einem Browser und einem Fenster auskommt, mag das vielleicht nicht so schlimm sein. Für uns Chefnerds ist das bescheiden. Denn das größte Problem dieses Systems ist, dass Teile des Tegra-Grafiktreibers auf eine ganz bestimmte X11-Version ausgerichtet sind. Ohne weiteres kann ich darum nicht auf eine neuere Ubuntu-Version updaten. Das heißt also, ich arbeite zur Zeit auf einer vier Jahre alten Ubuntu-Distribution und surfe auf dem Firefox 3, der nicht einmal Facebook darstellen kann.

Doch noch ist der Plan nicht gescheitert. Die XDA-Community hat es schon geschafft, andere Linux-Distributionen zum Laufen zu bringen. Und ich habe auch schon überlegt mir Assemblerkenntnisse anzueignen und mithilfe des teilweise veröffentlichten Motorola-Quellcodes das gesamte Webtop auseinander zu nehmen und durch eigene Open Source-Software offenzulegen. Ich dachte sogar daran, Schnittstellen für die Kommunikation zwischen Desktop- und Android-Software zu entwickeln. Man stelle sich mal zwei libpurple-Programme vor, jeweils eine für den Desktop- und den Android-Modus. Beide greifen auf dieselbe Bibliothek zurück und ein fließender Übergang zwischen beiden Modi ist problemlos möglich.

Screenshots eines Desktops mit Tiling-Fenstermanager
Mein ausgebauter Webtop-Ubuntu-Desktop mit ion3-Fenstermanager

Aussicht

Jedenfalls habe ich mir also wieder viel zu viel vorgenommen bei dem Versuch, genau das zu bekommen, was ich haben will. Zum Glück scheint zur Zeit jemand Anderes meine Arbeit zu übernehmen. Das Ubuntu Phone OS soll einen Desktop-Modus mit sich bringen und beide Benutzermodi ähnlich gut verschmelzen, wie ich es tun wollte. Damit kann ich notfalls auf dieses System setzen, falls ich es nicht schaffe, mein aktuelles richtig in Gang zu bringen. Dieses Rumgefrickel hat mich übrigens auf die Idee gebracht, auch auf meinem Kobo Ebook-Reader ein Desktop-System einzurichten. Immerhin laufen die Geräte auf einer Open Source-Linux-Firmware und haben diese so unglaublich stromsparenden E-Paper. :D Doch wenigstens etwas Zeit fürs Studium muss auch endlich mal drauf gehen.

Und mit meinem Atrix-Desktop bin ich eigentlich schon sehr zufrieden. Dazu kann ich mich nun außerdem zu den ersten Menschen zählen, die so etwas produktiv eingesetzt haben. Meiner Meinung nach werden derartige Systeme den herkömmlichen Desktop-Computer auf lange Sicht vollkommen ersetzen. Und mit etwas Glück wird dann nicht mehr Windows sondern Linux an der Spitze der Desktop-Softwarekette stehen.

7 Comments

From: Martin
Was für ein Telefon hast Du denn als neuen Desktop? Sofern es nicht Ubuntu und ähnliche Schwergewichte sein müssen, reicht doch ein Plan9 auf dem Raspberry Pi ;-)

Ich finde ein Handy als Desktop jetzt nicht optimal, so ist das Display nutzlos (allerdings integriertes Netzwerk-Fail-Over auf UMTS!) und hoffe, dass es irgendwann mal leistungsfähigere Rechner als den RPI gibt (Quadcore + bisschen RAM).

Auch: die ganze Peripherie, z.B. externe Platten USB etc. strapaziert das Telefon gewiss nicht unerheblich. Ist nicht gerade etwas, worauf der Hersteller so beim Härtetest achten würde ...
From: edik
Wie schon oben erwähnt benutze ich das Atrix 4g von Motorola. Ich glaube du hast allerdings nicht verstanden, dass ich es nicht nur als Desktop-System sondern eben auch als Smartphone verwenden will. Spätestens sobald ich aus dem Haus gehe, nehm ich das Handy aus der Dockingstation wieder mit.

Der große Vorteil gegenüber Geräten wie dem Raspberry ist damit die Desktop-Handy-Verquickung, die ich trotz noch unausgereifter Software nicht mehr missen will. Vielleicht komm ich zur nächsten Lan nur noch mit dem Handy und der Dockingstation ausgerüstet. :D

Was die Strapazen des Handys angeht, mache ich mir aber tatsächlich Sorgen. Weniger wegen der Peripherie; die USB-Stromversorgung kommt aus der Dockingstation, die einen eigenen Stromanschluss hat. Eher fürchte ich eine Überhitzung. Den Winter hat das Gerät gut überstanden. Nur überlebt es auch den Sommer? Prozessorlastige Anwendungen wie der Flash-Player bringen mich deshalb schon ziemlich auf die Palme. Jedoch habe ich das Ubuntu-Schwergewicht schon etwas entschlackt, indem ich einen anderen Fenstermanager und weniger Motorola-Software benutze. Mit weiterem Hacking ist da noch mehr möglich. Ein Upgrade auf Android 4 würde etwa bessere Multiprozessorunterützung mitbringen.

Doch das Atrix wurde ja auch extra auf diesen Desktop-Modus zugeschnitten und sollte das demnach ohne Probleme aushalten können.

Und dann solltest du noch beachten, dass das vor allem ein Experiment von mir ist. Da gibt es den Spaß-, den Coolheits- und auch den Lernfaktor, die meine Entscheidung, auf so ein System zurückzugreifen, ebenso Einfluss hatten. :D
From: Martin
Oh, ok. Das mit dem Atrix 4G habe ich irgendwie als Software aufgefasst.

Was ich gestern noch vergessen hatte: nimmst Du den Akku raus (sofern möglich)? Sonst stirbt das Telefon wohl daran.

Was machst Du im Falle eines Diebstahls/Vergessens des Telefons? Hast Du Festplattenverschlüsselung aktiv? Du kannst ja im Falle des Vergessens ja nicht einmal Anrufen oder schnell eine Email schreiben :D
From: Siegbert
Wie lange hält dein Akku?
From: edik
Okay, danke für den Hinweis. Ich hab die Sache mit dem Atrix nun etwas expliziter formuliert.

Den Akku nehme ich nicht raus. Das Thema hat mir auch ein bisschen Angst gemacht. Jetzt wo du es erwähnt hast, hab ich mich nochmal kurz damit befasst. Und zwar macht so ein dauerhaft an der Dockingstation angeschlossenes Handy nicht das Handy selbst, sondern eher den Akku kaputt. Es gibt mehrere Faktoren, die die Lebensdauer dieser Lithium-Ionen-Akkus beeinträchtigen. Dass der Akkuladestand möglichst nicht auf 100% gehalten werden sollte, kann man aber ignorieren, weil dies die intelligenten Ladesysteme inzwischen automatisch verhindern. Und dann bleibt nur noch das Problem der Hitze, die in Kombination mit einem hohen Ladestand die Lebensdauer ebenfalls verringert. Vielleicht können diese Ladesysteme aber auch hier helfen. Denn scheinbar kann man sie Softwareseitig beeinflussen. Wenn das möglich ist, könnte man beim Anschluss an die Dockingstation ein Ladelimit von 70% festlegen, was im besonders akkuschonenenden Bereich liegt.

Aber das ist alles ziemlich theoretisch. In der Praxis wird mein Akku momentan wohl tatsächlich noch ziemlich missbraucht. Die Laufzeit beträgt zur Zeit etwa einen Tag, wobei das natürlich total vom Nutzerverhalten abhängt. Somit scheint das der Akku bisher ganz gut durchgehalten haben. Doch auch hier könnte mir die Sommerhitze einen Strich durch die Rechnung machen. :D

Glücklicherweise kann man den Akku beim Atrix jedoch herausnehmen und somit auch austauschen.

@Siegbert: Mein Blog ist ja noch ziemlich neu. Da würde es mich mal interessieren, wie du auf diese Seite gestoßen bist. :D
From: edik
Ach und zum Thema Diebstahl und Vergessen: einen Zweit-PC habe ich zur Zeit weiterhin in Reichweite. Allzu sehr will ich mich auch noch nicht auf das neue System verlassen. :D

An eine Verschlüsselung hab ich tatsächlich auch schon gedacht. Das ist bei Smartphones natürlich immer so ne Sache, weil sie in der Regel ja dauerhaft angeschaltet sind, womit der Schlüssel auch dauerhaft im RAM ist. Aber mit Bildschirmsperre und den richtigen ADB-Sicherheitsmaßnahmen kann man da wohl annehmbare Lösungen erhalten. Das Atrix hat auch schon eine integrierte Verschlüsselungsfunktion. Der vertraue ich aber nicht so ganz; die ist sicherlich ähnlich gut durchdacht wie die Webtop-Software. Entweder durchsuche ich den Crypting-Quellcode nach Fehlern, sofern er in dem von Motorola veröffentlichten Atrix-Quellcode-Paket enthalten ist. Oder ich schau mir mal diese LUKS-Lösung für Android an. Auf jeden Fall gibt es noch viel zu tun. :D
From: edik
Dann hau ich hier auch mal ein Update raus: es hat sich inzwischen eine ganze Menge getan. Schon vor so einiger Zeit bin ich wieder zurück auf herkömmliche Desktop-Systeme gewechselt.

Das hat vor allem den Grund, dass es auf so einem Atrix-Setup extrem schwer ist, aktuelle Software laufen zu lassen. Die oben beschriebenen Probleme sind bei weitem nur die Spitze des Eisbergs. Beim Kernel selbst gibt es ganz allgemein riesige Baustellen bezüglich Smartphones. Solange die nicht halbwegs gelöst sind, ist der produktive Einsatz solcher Smartphone-Desktops sicherheitstechnisch ziemlich fahrlässig, zumindest für Leute, die auf solchen Dingern verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen wollen, Programme schreiben zum Beispiel.

Das ist Schade, und es gab noch einen weiteren Dämpfer: Canonical hat die Entwicklung von Ubuntu Touch eingestellt. Für mich als brennenden Verfechter des Konvergenz-Konzeptes war das ein schwarzer Tag. Ich glaube, dass diese Entscheidung die Entwicklung von konvergenten Systemen um Jahre zurückgeworfen hat.

Dennoch bin ich guter Dinge. Es gibt diverse Projekte, die teils gar nicht das Ziel verfolgen, Smartphone-Desktops zu ermöglichen, aber doch alle den Weg dafür ebnen können. So machen entsprechende Arbeiten am Kernel Fortschritte, es werden neue Software-Zwischenschichten wie Halium oder das Vendor-Interface von Google's Treble eingesetzt, und auch einige Betriebssysteme bewegen sich in diese Richtung. So wird Ubuntu Touch von der Community weiterentwickelt, Plasma Mobile scheint der Konvergenz-Idee auch nicht ganz abgeneigt zu sein und BOAH sogar Microsoft ist zwischenzeitlich auf den Zug aufgesprungen. Also kann man gespannt bleiben.

Es scheint mir, als werde es immer schwieriger, in dieser Thematik den Überblick zu behalten. Darum erwäge ich, hierfür eine öffentliche Info- und Linksammlung darüber aufzubauen. Sollte es dazu kommen, gibt's hier ein erneutes Update.
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